Montag, 6. Oktober 2014

Lösungsbücher: Kunst, Information und krasses Fan-Gehabe




,,Kommen Sie nicht weiter? Ist der Boss zu stark? Kein Glück im Spiel? Greifen Sie zum Lösungsbuch und schließen Sie das Spiel erfolgreich ab!" - So bewirbt ein namhafter Elektronikhändler die zumeist von Piggyback oder Bandai Namco herausgegebenen offiziellen Nachschlagewerke, die den Spieler vertiefende Einblicke in die Materie des jeweiligen Videospiels gewähren. Diablo 3, Call of Duty Ghosts, Grand Theft Auto 5, Watch_Dogs, Assassin's Creed IV: Black Flag oder Sims 4 - Mittlerweile gibt es zu fast jedem namenhaften Spiel ein offizielles Lösungsbuch. Die meisten dieser Spiele habe ich allerdings ohne die Hilfe eines solchen Folianten durchgespielt. Die Fundorte der fünzig Briefschnipsel in GTAV? Die habe ich einfach mit ein paar schnellen Klicks im Internet in Erfahrung gebracht. Die Standorte der acht Tavernen in AC IV: Black Flag? Die habe ich auf gleichem Wege gefunden. Sind Lösungsbücher im Zeitalter des Web 2.0 überhaupt noch sinnvoll? Sind Lösungsbücher Relikte vergangener Tage, an denen das Internet noch in den Kinderschuhen steckte? Gewiss nicht, um diese Antwort schon einmal vorwegzunehmen. Dennoch ist es nicht abzustreiten, dass sich die Haltung, meine eigene Haltung, gegenüber Lösungsbücher in den letzten Jahren gewandelt hat.


Steht doch alles im Internet!


Wir befinden uns in der Ära der schnellen Information: Jeder kann jederzeit jegliche Info ins Netz stellen, an denen sich ein anderer jederzeit und vielerorts bedient. Das ist effizient, kostenlos und rasend schnell. Wozu sollten wir uns die Mühe machen, Informationen zu kaufen, die in klobigen potenziellen Staubfängern niedergeschrieben sind? Das ist eine berechtigte Frage, gerade wenn man an der First-World-Krankheit leidet, in seiner Wohnung an der Masse eigener Produkte allmählich zu ersticken. Dies gilt natürlich nicht nur für Lösungsbücher, sondern für haptische Medien allgemein: Aus alten analogen Zeiten hat sich eine Produktpalette aus Verpackungen, Schachteln, Collectors-Edtions, Steelbooks und Sammelbänden in unseren Heimen breit gemacht, die nur stockend von einer vollständigen Digitalisierung ersetzt wird. Wer herzlos ist, beschleunigt diesen Vorgang und schmeißt seinen Kram aus dem Fenster, um in Zukunft nur noch auf Streaming-Dienste und Download-Content zu setzen. Wozu ein Regal? Steht doch alles im Internet! Die Sammelwütigen hingegen, horten die bunte Packungsvielfalt ihres Lieblingsmediums in ihren beeindruckend erdrückenden Spielzimmern und wollen von digitalen Inhalten am liebsten gar nichts wissen. Wer so ist wie ich, ein Hybrid, der hütet und behält sein geliebtes Sammelsurium, fügt aber nur noch bedingt haptische Produkte hinzu, um das Chaos im Raum noch einigermaßen im Schach halten zu können. So kann ich feststellen, dass ich die Angebote im PSN-Store seit meiner Mitgliedschaft bei PS Plus viel häufiger wahrnehme als zu Beginn der damals neuen Konsolengeneration. Ich lade Playstation-Spiele herunter, benutze begeistert Video-on-Demand-Dienste und habe auch noch einen Steam-Account - die Vorteile einer Digitalisierung des Alltags sind auch an mir, einer einstigen Verpackungspuristin, nicht spurlos vorbeigezogen. Hübsche Steelbooks zu meinen Lieblingsspielen und heiß erwartete Blockbuster kaufe ich dennoch in haptischer Form. Ein Lösungsbuch habe ich mir hingegen lange nicht mehr zugelegt. Und das ist traurig, da mir deren Bedeutung erst jetzt während des Schreibens so richtig klar geworden ist.


Klarheit, Kunst und kindliche Begeisterung


Mein letztes Nachschlagewerk kaufte ich zu Rockstar's Action-Meilenstein GTA: San Andreas, welches am 26. Oktober des Jahres 2004 erschien. Das dazugehörige Buch habe ich ungefähr im gleichen Zeitpunkt, vielleicht einige Wochen später, in meinen Besitz gebracht. Ein Lösungsbuch zu einem Spiel, in dem es im Wesentlichen darum geht, stumpf auf Menschen zu schießen und mit dem Auto durch die Stadt zu donnern? So ein Quatsch, das kann doch jedes Kind!

Tatsächlich erachtete ich den Kauf eines Spielbegleiters (man merkt, wie ich verzweifelt nach Synonymen für "Lösungsbuch" suche) für GTA: SA als äußerst sinnvoll, eben weil ich vor zehn Jahren nicht über die Möglichkeit verfügte, im Internet nach den Fundorten aller Sammelgegenstände zu suchen. Denn damals hatte ich mir vorgenommen, das Spiel zu 100% durchzuspielen, was ich mit der Hilfe des Lösungsbuches tatsächlich auch geschafft habe: Ich wagte mich an sämtliche Monsterstunts, absolvierte alle Haupt- und Nebenmissionen, gewann jedes Autorennen und fand alle Sammelobjekte, ob Austern, Hufeisen, Schnappschüsse oder Graffitis. Gerade bei letzterer Errungenschaft fragte ich das Lösungsbuch nach Rat und kreuzte pingelig genau die kleinen Vorzeigebildchen der Fundorte mit einem Buntstift ab. Die grafische Gestaltung, welche dem Stil des im Spiel beigelegten Handbuches gleichkam, war jedoch nur nettes Beiwerk, hatte mich aber nicht in einen ästhetischen Rausch verfallen lassen. Hier ging es um reines, gebündeltes Wissen, welches dieses Buch wie eine Formelsammlung der Mathematik trocken präsentierte.

Anders verhielt es sich bei Final Fantasy: Die Lösungsbücher zu den Playstation2-Ablegern Final Fantasy X und Final Fantasy XII legte ich mir zunächst nur wegen des Informationsgehaltes zu. Wer die Serie kennt, weiß, dass Square Enix', respektive Squaresofts, Vorzeige-RPGs sich (zumindest vor der ,,Generation PS3") durch ihre Komplexität und Spieltiefe auszeichneten: Schwarze Bestia, Blitzball, Waffen des Solaris, Mob-Jagd, Schätze, Crafting und Ultimawaffen - mit diesen beiden Spielen hatte ich damals auf der PS2 aller Hand zu tun.


Das jeweilige Lösungsbuch war bei der Bewältigung dieser Herausforderungen eine große Hilfe und das wusste ich zu schätzen: Denn einige Jahre zuvor, als noch eine der vier Discs von Final Fantasy IX in meiner PS ONE rotierte, rannte ich jedes Mal, wenn ich in diesem Spiel nicht weiterkam, ins örtliche Elektronikgeschäft und suchte im Ausstellungsstück des offiziellen Spielbegleiters nach der richtigen Lösung. Ich muss wohl sehr ausdauernd gewesen sein, denn dies ereignete sich solange, bis ich Final Fantasy IX samt PS ONE verbannte und mir zur Jahrtausendwende endlich eine PS2 mit Final Fantasy X samt Lösungsbuch zum Geburtstag wünschte.

Die edlen Piggyback-Nachschlagewerke begleiteten mich sicher und verlässlich durch das Spiel: Sie waren Kompass, Karte und Enzyklopädie zugleich. Auch heute schaue ich ab und zu in diese Folianten, die neben zahlreichen Details und Infos auch mit wunderschönen, handgezeichneten Artworks gespickt sind: Charaktere, Waffen, Monster, Weltkarten - alles wurde stilgerecht abgebildet. Nicht selten verweilte ich auf einer Seite, um mich an den Bildern und detailreichen Beschreibungen zu ergötzen. Wenn ich mich durch die Seiten blättere, fühle ich mich sofort wieder nach Spira oder Ivalice zurückversetzt; Das ist ein Qualitätsmerkmal, welches die Final-Fantasy-Lösungsbücher auszeichnet und beispielsweise vom oben Genannten abgrenzt.

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Die Dienste eines Spielberaters nahm ich übrigens zum ersten Mal für Pokémon Gold und Silber in Anspruch. Das hatte, anders als bei Final Fantasy und GTA, nicht etwa einen rationalen Gedanken zur Grundlage, sondern geschah aus reiner Faszination zum Franchise. Mein damaliges Grundschul-Ich jagte und sammelte nämlich Pokémon-Merch wie es sich für einen Rollenspielfan gehört: Plüschtiere, Sticker samt Sammelalbum, die Karten des Pokémon Traiding Card Games oder Plastik-Pokébälle, in denen sich neben Trash-Süßigkeiten eine zufällige Pokémonfigur befand.

,,Der offizielle Nintendo Spielberater" zu meinen absoluten Lieblingsspielen auf dem Game Boy nahm in dieser Sammlung natürlich einen Ehrenplatz ein. Es ging also weniger um die darin vermittelte Information (ich war ein echter Pokémon-Crack und Meisterin meines Fachs) als um die Freude an der Serie per se. Es ging mir um die Illustrationen, die Aufmachung; Es ging um das Gefühl des Tiefer-Eintauchens: Das Lösungsbuch bot noch mehr von Pokémon, noch mehr Bildchen meiner geliebten Taschenmonster und noch mehr Impressionen dieser liebevoll gestalteten Welt.

 

Die Magie des Lösungsbuches


Das Artbook als ästhetisch erweiterte (und daher teurere) Form des Lösungsbuches verzichtet hingegen zumeist ganz auf den informierenden Gehalt und dient somit vollständig der reinen Ergötzung am Medium. Dass das Angebot von Artbooks, Tagebüchern oder Enzyklopädien, die nicht selten einer ebenfalls zur Gewohnheit gewordenen Collectors-Edtion beilegen, in den letzten Jahren so immens gestiegen ist, ist unter anderem dem Aufstieg des Internets als universalen Informationshort geschuldet. Logisch, denn wenn Information in abgedruckter Form überflüssig geworden ist, lässt man sie weg. Kunst hingegen ist gefragt wie eh und je.



Auch beim Kauf eines Lösungsbuches geht es nur noch sekundär darum, Informationen über Strategie, Taktik und Sammelbares zu bekommen. In erster Linie ist die ästhetische Magie, die Aura des Buches, eine jene bestimmende Kraft, welche vom Fan des jeweiligen Games Besitz ergreift, ihn hypnotisiert und somit zum Kauf bewegt. Lösungsbücher sind keineswegs überflüssig oder sinnlos solange, sie die Freude am Spiel durch Detailreichtum und Ästhetik verlängern: Indem sie den Spieler als Symbiose von Kunst und Information etwas tiefer und vor allem geordneter in die jeweilige Materie eintauchen lassen, haben sie schon über das allumfassende aber chaotische Internet gesiegt. Das Lösungsbuch ist sinnlich wahrnehmbar: In einem stilvoll gestalteten Lösungsbuch zu blättern, sich Zeit zu nehmen und darin einzutauchen, bedeutet meistens, auch in die Welt des jeweiligen Spiels einzutauchen. Damals als ich die langen Monsterlisten des Lösungsbuches zu Final Fantasy XII studierte oder die scheinbar handgezeichneten Karten der verwinkelten Höhlen und riesigen Wüsten nach seltenen Items absuchte, war ich ein Teil dieser Welt, eben weil das Buch durch seine Ästhetik so wundervoll mit dem eigentlichen Spiel harmonisierte. Während ich spielte, lag das Lösungsbuch auf meinen Schoß; Es gehörte zum Spiel und das Spiel gehörte zum Buch. Beim Kauf eines Lösungsbuches geht es um die Erweiterung der Spielerfahrung durch dieses Medium. Sie sind ein Zusatz, welcher tiefgreifendes Wissen über Fakten, Geheimnisse, Items, Gegner, Strategie und Taktik bündelt und obendrein (im besten Fall) kunstvoll präsentiert. Dabei stechen nicht nur die Lösungsbücher zu Final Fantasy hervor, auch beispielsweise Dark Souls II und Assassin's Creed IV bieten Begleitlektüre, die nicht nur kunstvoll gestaltet ist, sondern auch stilvoll über Details, Handlung, Personen, Orte und Objekte informieren. Letzteres bietet sogar ein Glossar der Piraterie, welches über die vielschichtige Piratensprache aufklärt. Arr!

Kunst und ein tieferer Einblick in die Welt des Spiels - das sind die zwei Indikatoren, die das Lösungsbuch auch in Zeiten des Web 2.0 in seinem Dasein berechtigen. Klickt man sich durch die Rezensionen verschiedenster Lösungsbücher zu aktuellen Titeln, findet man daher nicht selten die bezeichnende Floskel: ,,Für Fans ein Muss!".



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