Sonntag, 12. Oktober 2014

Arrrgh! - über Wut und Videospiele






Ich bin ein ruhiger Mensch. Der Beschreibung meines Sternbildes nach zu urteilen, bin ich sogar harmoniebedürftig, sanft und sensibel. Nun glaube ich aber zu wissen, dass die horoskopische Einordnung des Menschen in idealtypische Eigenschaftskataloge nichts weiter als Esoterik-Spuk und Hokuspokus ist. Ich bin gewiss nicht sanft und sensibel, schon gar nicht strebe ich nach Harmonie! Nun, zumindest nicht dann, wenn ich gerade in den virtuellen Welten eines Videospiels meine Allmachtsfantasien auslebe. 

In Age of Empires unterjoche ich zum Beispiel ganze Ethnien und zerstöre ihren Lebensraum, indem ich meine Infanterie mit Schild, Schwert und Inbrunst auf deren Häuser einschlagen lasse. In Call of Duty hetze ich meinen Soldaten auf die gegnerische Fraktion und bekomme Erfahrungspunkte für jeden Kopf, der das virtuelle Projektil meiner AK-47 von nahem gesehen hat. Sogar im vermeidlich pazifistischen und ach so niedlichen Super Mario hüpfe ich mit einem schnauzbärtig kaltschnäuzigen Klempner zum Sieg, während ich mein Münzkapital sprunghaft erweitere und nebenbei ahnungslose Gumbas zermatsche. Ja wohl, auch eine liebenswerte Waage hat einen Hang zum Bellizismus: Sie strebt nach Macht und Ressourcen; Sie will gewinnen, und das am liebsten immer.

Doch was ist, wenn ich nicht gewinne, wenn wir nicht gewinnen? Was ist wenn unser Spiel nicht mehr unser Spiel ist, weil uns jemand eifrig und kräftig in die Suppe spuckt?

Ich stürze in Rayman Legends an einer Stelle zwanzig mal in den Abgrund, obwohl ICH DOCH X GEDRÜCKT HABE! In Dark Souls II werde ich hinterrücks von einem Zyklopen gefressen, während ich mich gerade in einem kurzen Moment der Unaufmerksamkeit mit zwanzigtausend Seelen im Gepäck über den hart erkämpften Sieg über die Sangesdämonin freue. Ich werde bei Call of Duty immer und immer wieder mit gegnerischen Kugeln gefüttert, obwohl ICH DOCH ZUERST GESCHOSSEN HABE! In Mario Kart 8 habe ich seit 2 Runden das Rennen angeführt, werde aber kurz vor der Ziellinie von einem roten Panzer getroffen, sodass mich Baby Peach in allerletzter Sekunde DOCH NOCH ÜBERHOLEN KANN!

ARRRGH!

Nicht nur harter Singleplayer-Tobak wie wie beispielsweise Dark Souls, Rayman Legends und das oben erwähnte Super Mario geben Anlass für ausschweifende Wutausbrüche. Gerade kompetitive Multiplayer-Spiele sind Quelle unsäglicher Wut: Rage-quit, purpurne Gesichter, Spuckespritzer am Bildschirm - das alles hat es irgendwo schon einmal gegeben und irgendwer wollte doch einfach nur Unreal Tournament spielen.


Zur Wut im Multiplayer eine Affen-Anekdote: 

Da hocke ich während einer Partie Call of Duty nun allein in meinem Zimmerlein, wirbele sämtliche Glieder des Körpers anti-ästhetisch durch die Luft und posaune Wortkompositionen heraus, die auf der Straße nicht nur Übermütter dazu veranlassen würden, schlagartig ihren Kindern die Ohren zu versiegeln. Mein nüchternes Ich, welches gerade diesen Text schreibt, blickt auf dieses tobende Geschöpf nur kopfschüttelnd herab und erinnert sich an so manchen wunderschönen Ausflug in den Zoo: Ganz spannend finde ich dabei immer die Affengehege, wo unsere pelzigen Verwandten nicht immer nur gemütlich umherschwingen, sondern sich auch manchmal nach allen Regeln der Natur anschreien und bestialisch durch den Dreck wälzen, um ihr Revier sowie alles andere, was ihnen teuer ist, zu verteidigen. Interne Probleme unter Affen, sprich Revierkämpfe und der Wettstreit ums Weibchen, werden mit Gebrüll und dem Einsatz scharfer Zähne gelöst. Was sich die Äffchen da genau zu sagen haben, will ich lieber nicht wissen.

Ein ähnliches Verhalten können wir nun auch bei uns, jener Spielerschaft, die ihre Kräfte im kompetitiven Online-Multiplayer misst, beobachten. Mit unseren Köpfen hausen wir in unserem virtuellen Affenkäfig; Via Headset beleidigen wir uns und unsere Mütter, werfen einander vor, geschummelt zu haben, weil wir es nicht dulden können, von einem anderen geschlagen worden zu sein. Doch warum ärgern wir uns, wenn wir alleine für uns spielen und uns andere Spieler nicht in die Suppe spucken können? Primärer Grund für den Gram sind hier entweder (a) externe Störungen oder (b) intrinsisches Versagen (und hier wollte ich eigentlich nur einen coolen Hauch von Wissenschaftlichkeit einbauen. Im Prinzip bedeutet das, dass (a) beispielsweise der Nachbar mit dem Bohrer bohrt und (b) der Spieler zu blöd zum Spielen ist).


Dazu eine weitere Affen-Anekdote:

Ein Freund aus vergangenen Grundschultagen hat einmal bei einem Zoobesuch mit der gesamten  Klasse solange vor einem Gorillakäfig herumgehampelt, bis der Herr des Hauses anfing, mit seinem Kot auf unsere Schülergruppe zu werfen. Es gab großes Geschrei auf beiden Seiten; Der menschliche Übeltäter bekam ein Klassenbucheintrag von meiner Lehrerin, der tierische Übeltäter bekam später sicherlich eine Banane, um den Energieverlust nach dem ganzen Ärger wieder auszugleichen. Ich selbst hielt mich während des Clinches im Hintergrund. Getroffen wurde ich so glücklicherweise nicht (eine Freundin schon. Am Schuh.).

Dieser Vorfall hatte durchaus seine Geschehnisberechtigung, denn eines wird mir jetzt klar: Der gute Gorilla wollte nicht, dass sich ein dahergelaufener Noob in sein Spiel einmischt. Der wollte einfach nur in Ruhe sein Ding machen. Er wollte sein Spiel spielen und musste den Störenfried irgendwie loswerden. Ich verurteile ihn dafür nicht. Wenn meine Mutter also beim Endboss, bei der nächsten Online-Partie oder gerne auch während einer wichtigen Zwischensequenz mit dem Staubsauger gegen meine Zimmertür bollert, wenn der Nachbar mit dem Bohrer bohrt und wenn die sich Tante am Telefon nach meinem Weinkonsum erkundigt, werde ich zwar nicht mit Kot werfen, aber zumindest affenartiges Geschrei ausstoßen. Und das ist voll okay. Tiere sind tierisch, Menschen sind menschlich und der Witz ist, dass es da scheinbar keinen großen Unterschied gibt.

Nun brauchen wir aber nicht allzu traurig sein, ein bisschen besonders ist der Mensch ja schon. Denn was der Affe nicht kann, ist sich selbst einzugestehen, ein Verlierer zu sein. Wir, du und ich, sind uns selbst bewusst. Wir haben Erwartungen an uns selbst, die bei Erfolg erfüllt oder gar übertroffen werden können. Tja, und wenn wir verlieren, ist eben das Gegenteil der Fall: Unsere Erwartungen wurden nicht erfüllt, wir sind von uns selbst und von unseren Fähigkeiten enttäuscht, uns plagen Selbstzweifel und wir wollen am liebsten alles und jeden hinschmeißen, um uns in Zukunft lieber neuen, einfacheren Herausforderungen zu stellen. Und da beginnt der eigentliche Ärger. Wie viele Videospiele haben wir abgebrochen, weil sie zu schwer waren, weil wir ihnen nicht gewachsen waren? Aus wie vielen FIFA-Matches sind wir in Rage geflüchtet, weil der Gegner uns innerhalb von 10 Spielminuten drei Tore reingedrückt hat, und wie oft hatte ich wohl den Gedanken, die Disc von Dark Souls einfach für immer aus meiner Konsole zu verbannen, weil ich Ornstein und Smough auch nach dem zehnten Versuch nicht besiegt habe?

Nicht nur, aber gerade in Spielen aus der Riege der ,,Souls-Reihe" stehen wir vor der Frage: Soll ich aufgeben oder standhalten? Bin ich stark genug oder bin ich etwa zu schwach? So habe ich Dark Souls II nur bis zum Ende durchgestanden, weil ich meine Selbstzweifel zurückgehalten habe. Ach Quatsch, ich habe sie gar nicht erst aufkommen lassen. Der Trick? Ich habe meine Wutanfälle - denn ich echauffierte mich in diesem Spiel öfter als in meinen gesamten vierhundert Stunden Spielzeit in Modern Warfare 2 - einfach in Energie umgewandelt. Ich wollte nicht, dass eine bloße Anhäufung von Daten mein fleischiges Ich besiegt. Schließlich habe ich es geschafft: Ich bin zu einer Dämonin geworden, zu einer Bestie, ja zu einem Greymon bin ich digitiert! Mit all meiner bösen Macht habe ich dieses verdammte Spiel besiegt. 

ARRRGH!

Dadurch, dass ich Dark Souls besiegt und gelernt habe, meine böse Energie in Schaffenskraft umzuwandeln, bin ich übrigens in Bezug auf andere Videospiele ein ruhigerer Mensch geworden, gar sensibel und harmoniebedürftig. Im Grunde hat dieser Text jetzt sogar eine Message:

 ,,Leb' deinen Traum, denn er wird wahr. Geh' deinen Weg, stelle dich der Gefahr! Alles, was wichtig ist, wirst du erkennen, wenn die Zeit gekommen ist! Ja greif' nach den Sternen, du bist bereit. Glaub an dich bald ist es soweit [...]"

(aber Horoskope und Sternbilder sind Quatsch. Ehrlich jetzt.)





2 Kommentare:

  1. Ich kann mich nicht erinnern jemals ein Spiel abgebrochen zu haben, nur weil es schwer war - was aber auch eher daran liegt, dass der durchschnittliche Schwierigkeitsgrad in den letzten 2 Jahrzenten einfach immer mehr abnahm.

    Spiele wie Demon-/Dark Souls sind im Grunde auch nicht schwer, denn diese Sorte verlangt von dem Spieler eher schnelles analysieren einer Situation und die passende Reaktion darauf - mag für den ein oder anderen auch "schwer" sein, definiert aber keinen Schwierigkeitsgrad.

    Ich finde desweiteren deine Vergleiche mit Primaten recht amüsant, wobei du damit traurigerweise auch recht hast - schließlich sind wir unseren Artverwandten nicht unähnlich in unserem Verhalten. Wobei ich natürlich es versuche zu vermeiden mit Kot zu werfen!
    Mir ist aber aufgefallen, dass ich mich früher, als ich noch jünger war, weit mehr aufgeregt habe, wenn ich alleine etwas gespielt habe. Heutzutage ärgere ich mich kurz innerlich, weil ich weiss das es mein Fehler war.

    Achja: und danke für den Digimon Ohrwurm, der wird mich die Nacht wieder nicht schlafen lassen. :D

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